Montag, 28. November 2016

Fünf Prozent der Jugendlichen in Deutschland pflegen Angehörige

Bundesweit unterstützen etwa 230.000 der 12- bis 17-Jährigen regelmäßig bei der Pflege



Rund 1,9 Millionen Pflegebedürftige in Deutschland, die Leistungen aus der Pflegeversicherung beziehen, werden zu Hause versorgt. In gut zwei Drittel dieser Fälle wird die Pflege ausschließlich durch pflegende Angehörige geleistet. Auch minderjährige Kinder und Jugendliche unterstützen regelmäßig bei Pflegeaufgaben in der Familie. Etwa fünf Prozent aller Jugendlichen in Deutschland – also rund 230.000 – sind dabei bedeutend in die Versorgung Angehöriger eingebunden. Dies zeigt eine repräsentative Befragung der Stiftung Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) unter über 1.000 12- bis 17-Jährigen.

„Wir sind als Gesellschaft gefordert, unsere Sinne für die Belange junger Pflegender zu schärfen. Denn obwohl sie oft mit besonderen Problemen konfrontiert sind, findet ihre Situation in der Öffentlichkeit kaum Beachtung. Auch in den Schulen ist das Thema oft nicht auf dem Radar. Es fehlt an gezielten Informations- und Unterstützungsangeboten für junge Pflegende“, erklärt Dr. Ralf Suhr, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP).

Dabei ist der Umfang der Hilfe, die pflegende Jugendliche leisten, beträchtlich. Die überwiegende Mehrheit von ihnen (90 %) hilft mehrmals in der Woche, ein Drittel (33 %) sogar täglich. Sie übernehmen vielfältige Aufgaben: Zumeist gehen sie den Pflegebedürftigen bei Einkäufen zur Hand (58 %) oder begleiten bei der Freizeitgestaltung (50 %). Viele von ihnen helfen ihren Angehörigen beim Zubereiten der Mahlzeiten (34 %), beim Aufstehen und Gehen (33 %) oder bei der Nahrungsaufnahme (27 %). Bei der Einnahme von Medikamenten oder bei der Körperpflege unterstützen 16 bzw. sieben Prozent ihr Familienmitglied.

Während die eine Hälfte der pflegenden Jugendlichen sich durch die Pflegesituation nicht beeinträchtigt fühlt (49 %), gibt die andere Hälfte (51 %) an, dadurch belastet zu sein. Konkret benennt mehr als die Hälfte der pflegenden Jugendlichen ihre Sorgen um den Angehörigen. Negativ wird auch der Mangel an Freizeit (12 %), die körperliche Anstrengung (10 %) oder niemanden zum Reden zu haben (9 %) empfunden. Positiv eingeschätzt wird hingegen von fast allen Befragten dieser Gruppe (93 %), dass sie helfen können. Sehr viele finden es außerdem gut, dass die Familie durch die Pflegesituation stärker zusammenhält (74 %).

„Es spricht erstmal nichts dagegen, junge Menschen in eine familiäre Pflegesituation einzubeziehen. Aber die Aufgaben müssen altersangemessen sein. Dominiert die Pflege den Alltag der Kinder und Jugendlichen, drohen emotionale, soziale und schulische Probleme. Langfristig kann all das chronische Erkrankungen und Nachteile in Bezug auf Bildung und Ausbildung zur Folge haben“, sagt Suhr.

Nach möglichen Unterstützungsangeboten gefragt, gibt jeweils ein gutes Drittel an, Hilfe durch einen Pflegedienst oder eine Beratung in Anspruch nehmen zu wollen (34 % bzw. 36 %). 24 Prozent würden sich gerne an ein Sorgentelefon wenden.

Anfang 2017 wird das ZQP einen umfassenden Report zum Thema pflegende Kinder und Jugendliche herausgeben.

Methode und Vorgehensweise
Befragt wurden Minderjährige im Alter von 12 bis 17 Jahren aus dem gesamten Bundesgebiet, deren Eltern im forsa.omninet-Panel mit etwa 20.000 Personen repräsentiert sind. Die Kinder und Jugendlichen wurden über die Eltern gebeten, an der Befragung teilzunehmen. Repräsentative Stichprobe: n=1.005. Art der Befragung: Anonyme schriftliche Online-Befragung (In-Home-Befragung am PC). Erhebungszeitraum: 14. bis 27. Juni 2016.

Statistische Fehlertoleranz: +/- 3 Prozentpunkte in der Gesamtstichprobe.

Nicht exakt festzustellen ist, ob dem Anteil der Jugendlichen, der von Hilfe- oder Pflegebedürftigkeit betroffen ist, in der Stichprobe ein Auswahleffekt zugrunde liegt.

Freitag, 25. November 2016

Wohnort beinflusst Art der Pflege in Deutschland

BARMER GEK Pflegereport 2016




Wie Menschen in Deutschland gepflegt werden, hängt vom Wohnort der Pflegebedürftigen ab. Das geht aus dem neuen Pflegereport der Barmer GEK hervor, der gestern in Berlin vorgestellt wurde. Demnach sind die massiven regionalen Unterschiede in der Pflege die Konsequenz des Angebots vor Ort. Je mehr Pflegedienste oder Pflegeheime es gibt, desto mehr Betroffene werden von ihnen betreut.

„Die Menschen bekommen offenbar nicht immer die Pflege, die sie brauchen, sondern die, die vor Ort verfügbar ist“, betonte Dr. Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der Barmer GEK. Damit Betroffene die Pflege erhalten, die für sie individuell am sinnvollsten sei, forderte Straub ein Mehr an transparenter und unkompliziert abrufbarer Informationsangebote sowie flächendeckend greifende Unterstützungsleistungen insbesondere durch die Pflegekassen. Die so genannten Pflegestützpunkte könnten offenbar diese Art der Hilfen nicht bieten. Straub: „Das Konzept der Pflegestützpunkte ist gescheitert. Sie gehen klar am Bedarf der Betroffenen vorbei.“ Nötig seien stattdessen noch mehr niedrigschwellige mobile und häusliche Angebote und Unterstützungsleistungen für alle Versicherten. So hätten sich insbesondere Familiengesundheitspfleger bewährt.

Spitzenreiter Schleswig-Holstein und Brandenburg


Der aktuelle Pflegereport der Barmer GEK weist große regionale Unterschiede in der Pflege aus. So spielt die Pflege in Heimen die größte Rolle in Schleswig-Holstein. Hier werden 40,5 Prozent der Pflegebedürftigen stationär gepflegt. Dementsprechend ist die Kapazität an Plätzen in Pflegeheimen mit 49,2 pro 100 Pflegebedürftigen die höchste im Bundesgebiet. Zum Vergleich: In Brandenburg sind lediglich 26,9 Plätze pro 100 Pflegebedürftige verfügbar. Dagegen werden in diesem Bundesland die meisten Menschen durch ambulante Pflegedienste oder allein durch die Familie versorgt. Bei dem Anteil der Pflegedienste wird Brandenburg (28,5 Prozent) nur von Hamburg (29,2), Sachsen (29,0) und Bremen (28,7) geringfügig übertroffen. Beeinflusst wird die Form der Pflege außerdem von der Einkommenshöhe der Pflegebedürftigen und davon, wie gut familiäre Netzwerke eine Pflege zu Hause bewältigen können oder überhaupt wollen. Bei geringem Einkommen reduzieren die privaten Zuzahlungen die Wahrscheinlichkeit, dass ein Pflegebedürftiger im Heim gepflegt wird.

Zahl Pflegebedürftiger steigt unterschiedlich


Während in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen sowie in Berlin, Hamburg und Bremen zwischen den Jahren 2050 und 2060 die Zahl der Pflegebedürftigen steigen wird, sind in den ostdeutschen Bundesländern ausnahmslos deutliche Rückgänge zu erwarten. Zugleich wird sich der Anteil Hochbetagter deutlich erhöhen. Bis zum Jahr 2060 werden drei von vier pflegebedürftigen Männern 80 Jahre und älter sein, von den pflegebedürftigen Frauen knapp 85 Prozent.

Niedrigschwellige Angebote für alle Betroffenen


Straub kritisierte, dass Pflegebedürftigen und deren Angehörigen nicht genügend niedrigschwellige Angebote zur Verfügung stünden. Der Barmer GEK Chef forderte Länder und Kommunen auf, gemeinsam mit den Pflegekassen in einen strukturierten Austausch zu gehen. Ziel müsste die regelmäßige Analyse der konkreten Pflegebedarfe in den Regionen sein und das Erarbeiten passgenauer Angebote, die Pflegebedürftige und deren Familien unbürokratisch abrufen könnten. Ein Forum für diesen Austausch seien regionale Pflegekonferenzen. Sie könnten auf den individuellen Pflegebedarf in der Region vor Ort eingehen und entsprechend notwendige Angebote der Pflegekassen und anderer Träger erarbeiten. Straub: „Praxisnahe Angebote müssten auch dazu führen, dass sich Betroffene vor Ort besser vernetzen können, um gegenseitig von Erfahrungen zu profitieren.“

Gute Pflegeunterstützung für alle Betroffenen sicherstellen


Die Pflegekassen sind vor allem als Impulsgeber für gute Ideen gefordert.“ So biete die Barmer GEK bislang als einzige Kasse eine individuelle Beratung durch Familiengesundheitspfleger. Vor allem Kurse für pflegende Angehörige seien besonders sinnvoll, da dabei nicht nur wichtiges Wissen vermittelt, sondern auch ein Austausch der Betroffenen untereinander ermöglicht werde. „Eine effiziente Pflegeunterstützung sollte aber nicht nur von der Mitgliedschaft in einer bestimmten Krankenkasse abhängig sein. Wir müssen dafür sorgen, dass alle Betroffenen in schwierigen Lebenssituationen uneingeschränkt die Unterstützung erhalten, die sie benötigen“, so Straub.


Pflegestärkungsgesetz II kostet 7,2 Milliarden Euro im Jahr 2017

Studienautor Prof. Dr. Heinz Rothgang von der Universität Bremen bezifferte die Kosten des Pflegestärkungsgesetzes II mit rund 7,2 Milliarden Euro allein für das Jahr 2017. Diese entstehen vor allem durch Mehrausgaben für Pflegegeld, Pflegesachleistungen und die vollstationäre Pflege. „Auch wenn die volkswirtschaftliche Entwicklung nur schwer abgeschätzt werden kann, so dürfte sich insgesamt in der Pflegeversicherung im Jahr 2017 ein Defizit ergeben, das deren Mittelbestand um mehr als drei Milliarden Euro reduziert“, so Rothgang. Während die beiden bereits eingeführten Pflegestärkungsgesetze die Pflegeversicherung weiterentwickeln, werde das aktuell im Gesetzgebungsprozess befindliche Pflegestärkungsgesetz III vor allem „Nacharbeiten“ beinhalten. So ist es laut Rothgang notwendig, den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff in der Sozialhilfe anzuwenden.

Aus dem Barmer GEK Pflegereport 2016

  • Übernahme von Pflegetätigkeiten: Im Jahr 2013 kümmerten sich rund 3,5 Millionen Personen um die häusliche Pflege von zirka 1,87 Millionen Pflegebedürftigen. Der Anteil der pflegenden Männer an allen Männern im Alter von mindestens 18 Jahren betrug in Westdeutschland 4,2 Prozent und der der pflegenden Frauen 6,6 Prozent. In Ostdeutschland lagen die Anteile von pflegenden Männern und Frauen mit 5,6 Prozent bzw. 8,0 Prozent genau 1,4 Prozentpunkte höher (S.16).
  • Mehrkosten: Die Mehrkosten von 7,2 Milliarden Euro, die durch das Pflegestärkungsgesetz II allein im Jahr 2017 entstehen, fallen durch 13 verschiedene Positionen an. Allein beim Pflegegeld entstehen Zusatzausgaben von 2,274 Milliarden Euro, gefolgt von den Pflegesachleistungen mit 1,417 Milliarden Euro. Die stationäre Pflege schlägt mit zusätzlichen 1,35 Milliarden Euro zu Buche (S.50).
  • Pflegebedürftigkeit nach Leistung: Die Anzahl der Pflegebedürftigen wird in jeder Leistungsart immer größer. Während im Jahr 1996 nur 944.000 Personen Pflegegeld bezogen, waren es im Jahr 2015 bereits 1.33 Millionen. Bei der Pflegesachleistung gab es im selben Zeitraum einen Anstieg von 106.000 auf 181.000 Bezieher und bei der Kombinationsleistung von 135.000 auf 408.000 Betroffene. Die Zahl derer, die vollstationäre Pflege erhielten, erhöhte sich von 355.000 auf 677.000 Frauen, Männer und Kinder (S.72).
  • Unterschiede zwischen den Bundesländern: Die Zahl der Pflegebedürftigen hat sich zwischen den Jahren 1999 und 2013 höchst unterschiedlich entwickelt. In Schleswig-Holstein stieg sie um 8,8 Prozent von 76.000 auf 83.000 Betroffene an. In Brandenburg dagegen erhöhte sie sich um 60,0 Prozent von 64.000 auf 103.000 (S.75 u. 76).
  • Verlauf der Pflege: Je länger die Betroffenen pflegebedürftig sind, desto wahrscheinlicher ist die Inanspruchnahme professioneller Hilfe. Bei Eintritt der Pflegebedürftigkeit müssen nur elf Prozent aller Betroffenen sofort in die vollstationäre Pflege. Nach vier Jahren leben nur noch 38 Prozent aller Pflegebedürftigen. Von diesen wiederum befinden sich dann 29 Prozent in vollstationärer Pflege (S. 165).

Dienstag, 22. November 2016

Augenärztliche Versorgung in Seniorenheimen

Deutschlandweit größte Studie deckt Versorgungslücken auf 



Viele Menschen in Deutschland leiden an Sehbehinderungen, die unbehandelt bis zur Erblindung führen können. Nicht selten trifft es pflegebedürftige Senioren. Obwohl in Deutschland augenärztliche Versorgung auf höchstem Niveau flächendeckend verfügbar ist, gelangt sie oft nicht zu Menschen in Pflege- und Seniorenheimen. Die Stiftung Auge hat mit der Studie OVIS – der deutschlandweit größten einschlägigen Versorgungsstudie – die augenärztliche Versorgungssituation in Seniorenheimen untersucht. Dabei hat sie Sehbehinderungen und Erblindung bei Senioren gezielt erfasst und Versorgungslücken aufgedeckt. So gab rund die Hälfte der Studienteilnehmer an, unter Sehproblemen zu leiden. Die Ergebnisse der Untersuchung präsentieren Experten im Rahmen einer Pressekonferenz am 30. November in Berlin. 

Augenerkrankungen können unbehandelt zu Erblindung führen


Augenerkrankungen wie altersabhängige Makuladegeneration (AMD), grüner Star (Glaukom) oder diabetische Netzhauterkrankung können unbehandelt zu Sehbehinderungen und Erblindung führen. Da sich das Durchschnittsalter der Deutschen stetig erhöht, rechnen Augenärzte damit, dass die Zahl altersbedingter Augenleiden bis 2030 um 20 bis 30 Prozent zunehmen wird. Die Zahl der Behandlungsfälle bei den über 60-Jährigen könnte sogar um 35,8 Prozent steigen. Um die Versorgungssituation von Menschen in Seniorenheimen zu untersuchen, hat die Stiftung Auge die Studie Ophthalmologische Versorgung in Seniorenheimen (OVIS) gestartet. 

„Mit dem Projekt OVIS möchten wir die Aufklärung von unerkannten Sehbehinderungen und Erblindungen bei Seniorinnen und Senioren vorantreiben“, erklärt Professor Dr. med. Frank G. Holz, Vorsitzender der Stiftung Auge der DOG. „Dazu mussten wir zunächst die Versorgungssituation und den Zugang der Bewohnerinnen und Bewohner zu einer augenheilkundlichen Behandlung feststellen. 

Hälfte der Heimbewohner gab Transport zum Augenarzt als Hürde an


Die teilnehmenden Einrichtungen zeigten sich dabei dem Projekt gegenüber sehr kooperativ und aufgeschlossen“, so der Direktor der Universitäts-Augenklinik Bonn. Der letzte Augenarztbesuch der Studienteilnehmer lag durchschnittlich vier Jahre zurück. Rund die Hälfte gab dabei den Transport als größte Hürde an, die Expertise eines Augenarztes in Anspruch zu nehmen. Zu den häufigsten festgestellten Erkrankungen zählten grauer Star, altersabhängige Makuladegeneration und grüner Star. Nicht selten fehlte es schlicht an einer passenden Brille für die Nähe und die Ferne. 

Im Rahmen der Studie befragten und untersuchten Ärzte von 14 Augenkliniken Bewohner in deutschlandweit 32 Heimen. Mit Hilfe von standardisierten Fragebögen analysierten sie Lebenssituation, Augenarztbesuche und den allgemeinen Gesundheitszustand der Bewohner. Außerdem hielten die Ärzte die Krankheitsgeschichte und die erhobenen Augenuntersuchungen fest. 

Die Ergebnisse der OVIS-Studie, unter wissenschaftlicher Begleitung von Professor Frank Krummenauer, Institut für Medizinische Biometrie und Epidemiologie der Fakultät für Gesundheit der Universität Witten/Herdecke, werden erstmals im Rahmen einer Pressekonferenz am 30. November 2016 in Berlin der Öffentlichkeit vorgestellt.