Donnerstag, 8. Juni 2017

Pflege daheim: Angehörige wenden im Schnitt rund 50 Stunden pro Woche auf

Gesetzliche Pflegezeit noch wenig genutzt



Staatliche Arrangements wie die Pflegeversicherung entlasten betroffene Familien. Doch den Hauptteil der Arbeit machen bislang Angehörige selbst – mit enormem zeitlichen und teilweise auch finanziellem Aufwand. Das zeigt eine neue, von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie. Trotz einiger politischer Initiativen funktioniert die Verzahnung von Pflege und Arbeitsmarkt noch nicht gut. Und ob Pflegende die nötige Unterstützung erhalten, hängt stark vom sozialen und finanziellen Hintergrund ab.

Die Pflege eines Verwandten ist oft mehr als ein Vollzeitjob


63 Stunden in der Woche fallen in einem Haushalt mit pflegebedürftiger Person im Schnitt an – Waschen, Hilfe beim Essen und im Haushalt oder einfach da sein, um Orientierung zu geben und bei diesem oder jenem helfen zu können. Nur zehn Prozent der Arbeiten übernehmen professionelle Dienste, alles Übrige leisten Angehörige, meist Ehefrauen oder Töchter, und in kleinerem Umfang auch informelle Helfer wie Freunde, Bekannte oder Nachbarn. 

Allein die „Hauptpflegeperson“ ist im Durchschnitt knapp 50 Stunden pro Woche eingespannt. Dies geht aus der aktuellen Studie von Dr. Volker Hielscher, Dr. Sabine Kirchen-Peters und Dr. Lukas Nock hervor. Die Wissenschaftler haben am Iso-Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft in Saarbrücken im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung bundesweit mehr als 1.000 Haushalte befragt, in denen Pflegebedürftige ab 65 Jahren leben – mit und ohne Einstufung in der Pflegversicherung. Ihre Untersuchung zeigt nicht nur, wieviel Zeit die Pflege in Anspruch nimmt. 

Deutlich werden auch Widersprüche in der Sozialpolitik, etwa wie sich soziale Ungleichheit bei der Betreuung hilfebedürftiger Menschen niederschlägt oder dass es bei der Verzahnung von Pflege und Arbeitsmarkt in mehrerer Hinsicht knirscht: Das gilt für die Arbeitsbedingungen osteuropäischer Pflegekräfte ebenso wie für die Vereinbarkeit von Job und Familie oder für knappe Einkommen und Rentenansprüche von Beschäftigten, die ihre Arbeitszeit aus Pflegegründen reduziert haben.

Mehr als die Hälfte verzichtet auf professionelle Unterstützung


Gut 70 Prozent der Pflegebedürftigen werden zuhause versorgt. Meist gibt es eine Hauptpflegeperson, die den Löwenanteil der Betreuung und Versorgung sowie die Organisation schultert. Am häufigsten handelt es sich dabei um Ehefrauen, Töchter oder Schwiegertöchter. Nur ein Drittel der Hauptpflegepersonen ist männlich – jedoch zeigt der Vergleich zu früheren Studien, dass der Anteil pflegender Männer steigt. Mehr als die Hälfte der befragten Haushalte verzichtet vollkommen auf Unterstützung durch Pflegedienste oder andere professionelle Hilfe. In jedem fünften Pflegehaushalt macht die Hauptpflegeperson alles allein. Wie viel das oft ist, unterstreicht eine weitere Zahl: Selbst wenn die Krankenkassen den hilfebedürftigen Älteren keine Pflegestufe zuerkannt haben, fallen im Schnitt vier Stunden Arbeit am Tag für die betreuenden Angehörigen an.

Drei Viertel der Pflegenden gar nicht oder in Teilzeit erwerbstätig


Schwierig gestaltet sich die Vereinbarkeit von Pflegeaufgaben und Beruf: Rund ein Drittel der Hauptpflegepersonen im erwerbsfähigen Alter hat die Arbeitszeit im Job reduziert; 44 Prozent dieser Gruppe sind gar nicht erwerbstätig – das ist ein deutlich überdurchschnittlicher Wert. Die Pflegenden riskieren damit, im Alter selber mit wenig Geld dazustehen. Die gesetzliche Pflegezeit nutzten lediglich sechs Prozent der berufstätigen Hauptpflegepersonen.

Neben die zeitlichen Belastungen treten erhebliche finanzielle Aufwendungen, etwa für Aufwandsentschädigungen und Fahrtkosten von Helfern, Zuzahlungen für Pflegedienste, Tagespflege, Hilfsmittel und Medikamente, oder den Menüdienst. Im Durchschnitt aller Pflegehaushalte ermitteln die Forscher rund 360 Euro an monatlichen Ausgaben, die nicht durch so genannte Sachleistungen der Pflegeversicherung ersetzt werden. Auch das Pflegegeld, das ein Teil der Pflegebedürftigen erhält, kann diese Kosten nur bedingt kompensieren. Darüber hinaus verzichten die Pflegegeldbezieher auf die –höher finanzierten – Sachleistungen der Pflegeversicherung, etwa für den Einsatz eines Pflegedienstes.

Die Pflegerin im Haushalt – ein Modell für Besserverdiener


Angesichts des hohen Zeitaufwands liegt es bei steigendem Pflege- und Betreuungsbedarf für viele Haushalte nahe, eigens eine im Haushalt lebende Hilfskraft zu engagieren. Das betrifft aktuell knapp jeden zehnten Pflegehaushalt, Tendenz steigend. Diese Jobs übernehmen in aller Regel osteuropäische Arbeitsmigrantinnen. Für Pflegebedürftige, deren Angehörige nicht genug Zeit für eine umfassende rund-um-die-Uhr-Betreuung haben, ist dies oft die einzige praktikable Lösung, um den Umzug in ein Heim zu vermeiden. 

Allerdings „scheint in der Praxis eine den arbeitsrechtlichen Mindeststandards entsprechende Beschäftigung dieser Kräfte kaum realisierbar“, konstatieren Hielscher, Kirchen-Peters und Nock. Zudem sei die private Anstellung einer solchen Kraft „nur für Haushalte aus stärkeren sozioökonomischen Milieus finanzierbar“. Ein Dilemma: Würde die Politik zu stärkeren Kontrollen greifen, um die Einhaltung von Mindestlohn und Arbeitszeitbestimmungen sicherzustellen, würde sich die häusliche Rundumpflege weiter verteuern und die soziale Spaltung noch verstärken.

Unterstützungsangebote erreichen Bildungsferne seltener


Dass Pflege sozial selektiv ist, hat aber nicht nur direkt mit den Einkommen zu tun. Die Angebote zur Pflegeberatung erreichen Hauptpflegepersonen aus bildungsfernen Schichten oft nicht, haben die Forscher festgestellt. Offenbar sind sie häufig auch mit den bürokratischen Anforderungen der Pflegeorganisation überfordert. Auffällig sei, so die Wissenschaftler, dass Pflegebedürftige in einkommensstarken Haushalten oft in höhere Pflegestufen eingruppiert sind als solche aus sozial schwächeren Kreisen. Da nicht ersichtlich ist, warum Wohlhabende pflegebedürftiger sein sollten als Arme, liegt die Vermutung nahe: Es gelingt den Angehörigen höherer Schichten besser, gegenüber der Pflegeversicherung einen größeren Bedarf geltend zu machen.

Die Politik muss entscheiden: Gesellschaftspolitische oder private Aufgabe?


Grundsätzlich bestünden in der Pflegepolitik eine Reihe von Zielkonflikten, schreiben die Wissenschaftler. Einerseits sei die Vorstellung leitend, dass Pflege, wenn möglich, zuhause stattfinden soll und primär eine Aufgabe der Angehörigen darstellt. Anderseits werden eine hohe Erwerbsbeteiligung und professionelle Pflegestandards, Chancengleichheit und gute Arbeitsbedingungen für alle angestrebt. All dies gleichzeitig zu verwirklichen, ist schwierig, wie die Untersuchung zeigt. Letztlich müsse die Politik entscheiden, „ob die Bewältigung von Pflegebedürftigkeit als gesellschaftliche Aufgabe definiert und gelöst oder weiterhin ein primär privates, von den Familien zu tragendes Risiko bleiben“ soll. Wird Pflege als gesellschaftliche Aufgabe verstanden, muss die Frage beantwortet werden, ob entweder das Leben im Heim zu einer attraktiven Alternative ausgebaut wird oder „häusliche Settings“ soweit entwickelt und finanziert werden, dass sie auch bei schwerster Pflegebedürftigkeit eine umfassende Versorgung garantieren.

Weitere Informationen:
Volker Hielscher, Sabine Kirchen-Peters und Lukas Nock: Pflege in den eigenen vier Wänden: Zeitaufwand und Kosten. Pflegebedürftige und ihre Angehörigen geben Auskunft (pdf). Study der Hans-Böckler-Stiftung Nr. 363, Juni 2017.

Montag, 5. Juni 2017

Die "Hightech-Schwester" - Roboter in der Altenpflege

Umfrage: Viele Senioren befürworten Einsatz von Pflege-Elektronik



Technische Helfer mit Einschaltknopf sind in allen Lebensbereichen auf dem Vormarsch - so auch in der häuslichen Pflege. 

Forschung und Politik setzen unter dem Schlagwort "Pflege 4.0" große Erwartungen in die intelligenten Helfer: Roboter sollen Senioren zu mehr Selbstständigkeit verhelfen und pflegende Angehörige entlasten. Viele Senioren sehen diese Entwicklung positiv. 

Laut einer repräsentativen Umfrage im Auftrag des Apothekenmagazins "Senioren Ratgeber" kann sich mehr als jeder Vierte der Ab-60-Jährigen in Deutschland (28,4 %) vorstellen, von einem Roboter gepflegt zu werden, um länger selbstständig zu Hause leben zu können. 

Die deutliche Mehrheit in dieser Altersgruppe (56,9 %) hält den Einsatz von Pflegerobotern in Heimen oder Krankenhäusern aber vor allem zum Anheben, Aufrichten und Umbetten von Patienten "auf jeden Fall für sinnvoll". 

Jeder Zweite (50,1 %) kann sich den Einsatz technischer Mittel sogar im Bereich Körperhygiene bei Inkontinenz für sich selbst im Bedarfsfall sehr gut vorstellen. "Okay ist alles, was die Pflege erleichtert, etwa beim Transport", fasst der Osnabrücker Pflegeforscher Professor Hartmut Remmers die Stimmung hinsichtlich der technischen Entwicklungen im Pflegebereich im "Senioren Ratgeber" zusammen. 

Ethisch problematisch werde es allerdings dann, "wenn die Technik an die Stelle der persönlichen Zuwendung tritt", betont der Forscher. So sieht es auch der Großteil der Ab-60-Jährigen in Deutschland. Zwei Drittel von ihnen (63,8 %) fremdeln der repräsentativen "Senioren Ratgeber"-Umfrage zufolge noch mit "Schwester Roboter" und empfinden den Einsatz von technischem Gerät zur Pflege von Menschen als "unwürdig und unzumutbar". 

"Man denkt an Roboter im Film, und die sind selten freundlich", erklärt Informatik-Professorin Birgit Lugrin von der Universität Würzburg im Interview mit dem "Senioren Ratgeber" das Misstrauen vieler Senioren. 

Roboter sind gleichbleibend freundlich und geduldig


Sie hat allerdings beobachtet, dass sich das Blatt rasch wendet, haben ältere Menschen die Technik erst einmal kennengelernt. So fassen auch demenzkranke Menschen leicht Zutrauen zu den Helfern mit Elektronikhirn. 

Die leitende Ingenieurin vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung in Stuttgart, Dr. Birgit Graf, äußerst dazu im "Senioren Ratgeber" folgende Vermutung: "Die Roboter sind gleichbleibend freundlich und geduldig - egal, wen sie vor sich haben."

Quelle: Eine repräsentative Umfrage des Apothekenmagazins "Senioren Ratgeber", durchgeführt von der GfK Marktforschung Nürnberg bei 2.020 Personen ab 14 Jahren, darunter 636 Männer und Frauen ab 60 Jahren.

Quelle: Das Apothekenmagazin "Senioren Ratgeber

Mittwoch, 31. Mai 2017

KKH bietet als erste Pflegekasse gesonderte Demenz-Beratung an

Wenn Demenz den Alltag bestimmt


Foto: KKH

Rund 1,6 Millionen Menschen leiden heute in Deutschland an einer Demenz-Erkrankung. Bis zum Jahr 2050 wird sogar mit einer Verdoppelung der Zahl der Betroffenen gerechnet. Vor diesem Hintergrund gewinnt das Thema Beratung und Aufklärung zukünftig immer weiter an Bedeutung. Denn besonders für Angehörige, die sich um eine an Demenz erkrankte Person kümmern, bringt die neue Situation viele Veränderungen und Belastungen mit sich. 

„Pflegende Angehörige stehen häufig unter hohem psychischen, physischen und sozialen Druck“, sagt Roland Milwich vom Serviceteam der KKH Kaufmännische Krankenkasse in Reutlingen. Als erste Pflegekasse in Deutschland hat die KKH ihre Pflegeberater deshalb zu Demenz-Partnern der deutschen Alzheimer Gesellschaft e.V. ausbilden lassen und bietet ab sofort eine gesonderte Demenz-Beratung an.  

Bei einer Demenz-Erkrankung verlieren die Betroffenen geistige Funktionen wie Denken, Erinnern oder Orientieren. Damit können diverse Aktivitäten im Alltag nicht mehr eigenständig durchgeführt werden. 

„Erkennungsstörungen, mangelnde Hygiene oder Gedächtniszerfall der Erkrankten stellen Angehörige oft vor immense Probleme. Auch der Umgang miteinander kann durch die herausfordernde Verhaltensweise der Betroffenen sehr angespannt sein“, erklärt Milwich. 

Wie ein sicheres und wertschätzendes Miteinander gelingen kann, wird in der Demenz-Beratung individuell erörtert. Ein besonderes Augenmerk wird auf die Bewältigung der seelischen Belastungen der Pflegeperson gelegt, die im Zuge einer pflegerischen Tätigkeit entstehen. 

„Wir raten den Pflegepersonen, auch mal an sich zu denken und sich bewusst eine Auszeit zu nehmen. Ob Sport, Singen im Chor oder ein Abend mit Freunden – ein fester Termin pro Woche, in dem die Betreuung der zu pflegenden Person anderweitig organisiert ist, kann schon Wunder wirken“, lautet ein Tipp von Milwich. 

Weitere Informationen zu der Demenz-Beratung erhalten Interessierte hier