Freitag, 9. Mai 2014

Expertise belegt chronische Unterfinanzierung der ambulanten Pflege

Paritätischer Gesamtverband fordert Ende der Minutenpflege

Werner Hesse - Geschäftsführer
Foto: Der Paritätische Gesamtverband
Eine chronische Unterfinanzierung der ambulanten Pflege belegt eine aktuelle Expertise des Paritätischen Gesamtverbandes. Die Vergütungen lägen im Durchschnitt um 48 Prozent zu niedrig. Die Finanzierungslücke habe bisher nur aufgefangen werden können durch eine ganz erhebliche Arbeitsverdichtung und schrittweise schlechter werdende Arbeitsbedingungen. 

Der Paritätische fordert deutlich höhere Vergütungen für die ambulanten Pflegedienste

Damit Mehrkosten nicht auf die Pflegebedürftigen abgewälzt werden, seien ferner auch höhere Leistungen in der Pflegeversicherung notwendig. Der Paritätische spricht von Mehrkosten in Höhe von rund einer Milliarde Euro jährlich.
„Die Rahmenbedingungen in der ambulanten Pflege sind an der Grenze des Zumutbaren. Dass das gesamte System bis heute nicht kollabiert ist, ist den Menschen zu verdanken, die vor Ort mit hohem Engagement an der Grenze zur Selbstausbeutung agieren. Es sind die Löhne für die Beschäftigten auf der einen Seite und die Zeit für Pflege und Zuwendung auf der anderen Seite, die auf der Strecke geblieben sind“, so Werner Hesse, Geschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes. 

Allein der Bürokratieaufwand ist seit 1998 um 16 bis 24 Prozent angestiegen

Neben angemessenen Gehältern und der Berücksichtigung steigender Betriebskosten wie Benzin für die Einsatzfahrzeuge, seien die Kosten insbesondere durch neue Anforderungen an die Qualifikation des Personals und die Dokumentation der Leistungen massiv gestiegen. Allein der Bürokratieaufwand sei seit 1998 um 16 bis 24 Prozent angestiegen, so das Ergebnis des Gutachtens. 
In der Praxis bedeute die chronische Unterfinanzierung eine „Pflege im Minutentakt“, die für alle Beteiligten eine Zumutung sei. Um angesichts der aktuellen Vergütung keine Verluste zu machen und letztlich in den Konkurs zu gehen, müsse ein Pflegedienst heute beispielsweise die sogenannte „große Morgentoilette“ (Unterstützung beim Verlassen des Bettes, dem An- und Auskleiden, dem Duschen und Frisieren) in weniger als einer halben Stunde erledigen. Für die Reinigung der Wohnung dürfe eine Pflegekraft maximal 6 Minuten aufwenden, für die Hilfe beim Essen und Trinken nur noch eine viertel Stunde.
Der Paritätische fordert die Bundesregierung auf, von der geplanten Einrichtung eines Vorsorgefonds in der Pflege Abstand zu nehmen und stattdessen die rund eine Milliarde Euro jährlich in die Aufwertung der Tätigkeit von Pflegediensten zu investieren. Neben der Erhöhung der Vergütungen fordert der Verband eine Erhöhung der Sachleistungsbeträge der ambulanten Pflege, damit Mehrkosten nicht an den Pflegebedürftigen hängen bleiben. 
Die Finanzierung der ambulanten Pflege müsse darüber hinaus künftig nach Zeit und dürfe nicht länger nach Pauschalen und Modulen erfolgen, um den Anreiz zur Verknappung von Einsatzzeiten zu beseitigen. 
Schließlich sei der Leitgedanke der Menschenwürde – analog zum Sozialhilfegesetz – auch im Pflegeversicherungsgesetz zu verankern. „Die Pflege braucht wieder einen Kompass und der heißt Menschenwürde. Die soziale Pflegeversicherung hat sicherzustellen, dass jeder Mensch eine Pflege erhält, die der Würde des Menschen entspricht“, fordert Werner Hesse.

Quelle: Der Paritätische Gesamtverband
http://www.der-paritaetische.de

Montag, 5. Mai 2014

Voraussichtlicher Anstieg der Pflegebedürftigen bis 2030 um 37 Prozent

Neue Modellrechnung für das Land Baden-Württemberg in Stuttgart vorgestellt


Im Dezember 2011 waren in Baden-Württemberg 278 295 Personen pflegebedürftig im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes. Nach einer Modellrechnung des Statistischen Landesamtes, die zur Messe »Pflege & Reha« in Stuttgart vorgelegt wurde, könnte die Zahl der Pflegebedürftigen in Baden-Württemberg allein aus demografischen Gründen bis zum Jahr 2030 um 102 700 zunehmen und damit auf rund 381 000 Menschen steigen. 

Dies wäre ein Anstieg um 37 Prozent. Bis zum Jahr 2050 könnte die Zahl pflegebedürftiger Menschen sogar um 80 Prozent zunehmen und damit um fast 224 000 Personen auf dann rund 502 000 Pflegebedürftige steigen. Im Jahr 2030 würde sich für Baden-Württemberg somit eine Pflegequote von 3,67 % errechnen, für 2050 sogar von 5,24 %. Die Pflegequote im Jahr 2011 lag bei 2,58 %.

Quelle: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 2014

Nach den Ergebnissen dieser neuen Modellrechnung wird die Zahl der pflegebedürftigen Frauen mit rund 238 000 bis 2030 um 32 Prozent oder rund 58 000 steigen, während die Zahl der männlichen Pflegebedürftigen mit über 142 000 um 45 Prozent oder rund 44 000 zunehmen könnte.

Je nach Pflegeart fällt die Zunahme bis zum Jahr 2030 jedoch unterschiedlich aus. Die Zahl der vollstationär Untergebrachten würde mit 47 Prozent von allen drei Pflegearten am stärksten steigen, von 87 970 auf fast 129 000 Personen. Die Zahl der ambulant Gepflegten könnte demnach bis 2030 von 57 617 auf rund 83 000 Personen zunehmen, d.h. um 44 Prozent.

Deutlich darunter läge dagegen die Zunahme bei den Pflegegeldempfängern, also der Personen, die ausschließlich durch ihre Angehörigen versorgt werden. Hier beträgt der Zuwachs nach der Modellrechnung 28 Prozent, d.h. die Zahl der Pflegegeldempfänger würde von 132 708 auf rund 169 000 Personen zunehmen. Wurden 2011 noch 48 Prozent aller Pflegebedürftigen zu Hause von ihren Angehörigen gepflegt, könnte dieser Anteil bis 2030 auf 44 Prozent sinken. Der Anteil der stationär gepflegten Menschen würde dagegen von 32 Prozent auf 34 Prozent ansteigen, während sich nach der Modellrechnung im ambulanten Bereich der Anteil der Pflegebedürftigen von heute 21 Prozent auf 22 Prozent in Zukunft nur unwesentlich verändern würde.


Freitag, 2. Mai 2014

Repräsentative Umfrage: Bereitschaft zur Pflege von Familienangehörigen geht zurück

Jeder Fünfte Bundesbürger würde ein Familienmitglied rund um die Uhr pflegen. Allerdings hat die Bereitschaft der Deutschen zur umfassenden Betreuung ihrer Angehörigen stark nachgelassen.


Foto: Jerzy Sawluk  / pixelio.de
So wollten vor fünf Jahren noch doppelt so viele die Rundumpflege übernehmen. Auch der Anteil derer, die ihren Familienmitgliedern die Unterstützung im Pflegefall komplett verweigern, ist von rund sechs auf elf Prozent gestiegen. Dies ergab die Studie „Kundenkompass Selbstbestimmung im Alter“ der Stiftung Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) in Zusammenarbeit mit dem F.A.Z.-Institut auf der Basis zweier repräsentativer Bürgerbefragungen.
Vor allem bei den Beschäftigten in der Privatwirtschaft ist die Bereitschaft gering, sich intensiv um ihre pflegebedürftigen Angehörigen zu kümmern – hier würden lediglich 15 Prozent eine Rundumpflege übernehmen. „Offensichtlich fällt es dieser Gruppe immer schwerer, Beruf und Pflege miteinander in Einklang zu bringen“, sagt Dr. Ralf Suhr, Vorstandsvorsitzender des ZQP. „Es ist daher richtig, dass der Gesetzgeber hier aktiv werden will. Ein erster Ansatz ist es, Berufstätigen durch eine  Pflegeauszeit die Möglichkeit einzuräumen, sich um ihre Angehörigen zu kümmern.“ So ist bei Hausfrauen und -männern die Bereitschaft zur Pflege mit 27 Prozent deutlich höher.

Konkrete Hilfsleistungen sind gefragt

Insgesamt werden in der Zukunft angesichts der demografischen Entwicklung und sich verändernder Familienstrukturen immer weniger Pflegebedürftige überhaupt auf die Unterstützung von Angehörigen zurückgreifen können – darüber machen sich die Befragten keine Illusionen. Sie wollen daher vorsorgen – und zwar vor allem, um sich im Pflegefall Assistance-Leistungen finanzieren zu können. Dabei rangiert die Haushaltshilfe mit 60 Prozent an erster Stelle. Mehr als jeder Zweite will außerdem sparen, um sich eine bedarfsgerechte Rund-um-die-Uhr-Betreuung durch ein Nicht-Familienmitglied leisten zu können. „Diese Zahlen beweisen: Die Bundesbürger wissen, dass sie in der Zukunft auch im Pflegefall immer häufiger auf sich allein gestellt sein werden. Es gilt nun, das Angebot an Unterstützungsleistungen zu diversifizieren. Wir benötigen in der ambulanten Pflege neue und kreative Angebote, die den unterschiedlichen Wünschen und Bedürfnissen der Menschen gerecht werden und gleichzeitig eine qualitativ hochwertige Betreuung sicherstellen“, so der ZQP-Vorstandsvorsitzende.

Hintergrundinformationen

Die Marktforschungsinstitute COBUS aus Karlsruhe (Januar 2010) und forsa aus Berlin (Mai und Juni 2010) befragten im Auftrag der Stiftung Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) rund 1.000 Bundesbürger über 18 Jahre zu ihren Standpunkten, Maßnahmen und Plänen in Bezug auf die Selbstbestimmung und die Probleme im Alter. Die beiden Gruppen der interviewten Personen repräsentierten jeweils einen Querschnitt der volljährigen Bevölkerung in Deutschland. Die Befragungen wurden in computergestützten Telefoninterviews durchgeführt (CATI-Befragung).

Über das ZQP

Das Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) ist eine im November 2009 errichtete gemeinnützige Stiftung mit Sitz in Berlin. Ziel der Stiftungsarbeit ist die Wissenschaftsbasierung und strukturelle Weiterentwicklung von Qualität in der Pflege sowie in der Versorgung älterer und hilfebedürftiger Menschen. 
Stifter des ZQP ist der Verband der privaten Krankenversicherung e.V. Das ZQP ist die einzige derartige Einrichtung in Deutschland, welche multidisziplinär und berufsgruppenübergreifend ausgerichtet ist. In seine Arbeit bindet es ausgewiesene Experten aus Pflegepraxis und Wissenschaft sowie Verbraucher und Patientenorganisationen ein. Ein wesentlicher Schwerpunkt der Stiftungsarbeit ist die wissenschaftliche Bearbeitung von bisher unzureichend geklärten Fragestellungen rund um das häusliche Versorgungsgeschehen.