Krankenkasse muss Kosten erstatten
Auch bei fortgeschrittener Demenz ist das Bestehen von Rehabilitationsfähigkeit und einer positiven Prognose für eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme nicht ausgeschlossen. Abzustellen ist auf die konkret-individuellen Rehabilitationsziele (hier: Verlangsamung des Krankheitsprogresses, körperliche und geistige Aktivierung). Mit dieser Begründung haben die Richterinnen und Richter des Landessozialgerichts Stuttgart eine Krankenkasse verurteilt, einer 78jährigen, an Alzheimer erkrankten Versicherten, die Kosten in Höhe von rund 5.600 € für eine vierwöchige Reha-Maßnahme in einem Alzheimer-Therapiezentrum in Begleitung des Ehemannes zu erstatten.
Urteil vom 17. 07.2018, Aktenzeichen L 11 KR 1154/18
Die
Versicherte leidet seit 2013 an Alzheimer. Ihre behandelnden Fachärzte für Neurologie befürworteten und beantragten 2016
eine stationäre Reha-Maßnahme in einem speziell auf Alzheimer-Patienten ausgerichteten Therapiezentrum. Die Ärzte
führten aus, es liege derzeit eine leichte bis mittelschwere Demenz vom Alzheimer-Typ vor. Mit der stationären Behandlung
könne der Krankheitsverlauf voraussichtlich günstig beeinflusst werden. Als Rehabilitationsziele wurden genannt: körperliche
und geistige Aktivierung, Hilfe zur teilweisen Selbsthilfe. Die Rehabilitationsfähigkeit wurde in allen Punkten bejaht (ausreichende
physische und psychische Belastbarkeit; erforderliche Mobilität, ausreichende Motivation, Motivierbarkeit). Der von der Krankenkasse
eingeschaltete Medizinische Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) notierte jedoch lediglich stichwortartig, es
bestehe keine Reha-Fähigkeit und keine positive Reha-Prognose, ohne auf das Krankheitsbild der Versicherten und die von den
Ärzten genannten Ziele einzugehen.
Die
Krankenkasse lehnte die Gewährung der Reha-Maßnahme ab. Widerspruch und Klage vor dem Sozialgericht Mannheim sind erfolglos
geblieben. Die Versicherte hat sich darauf die Reha-Maßnahme selbst beschafft und in Begleitung ihres Ehemannes einen
vierwöchigen Aufenthalt im Alzheimer-Therapiezentrum durchgeführt. Abzüglich des Selbstbehalts sind dabei Kosten in
Höhe von rund 5.600 € entstanden, die die Versicherte nunmehr im Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht von der
Krankenkasse verlangt hat. Sie hat die Auffassung vertreten, die Ablehnung sei spekulativ und nicht ausreichend
begründet.
Die Ablehnungsentscheidung der Krankenkasse ist rechtswidrig gewesen
Die Berufung
der Klägerin ist in allen Punkten erfolgreich gewesen. Das Landessozialgericht hat die Krankenkasse zur Übernahme der Kosten
verurteilt. Die Ablehnungsentscheidung der Krankenkasse ist rechtswidrig gewesen, weil sie die individuellen Verhältnisse, Art und
Schwere der Erkrankung und die für die Versicherte möglichen und wichtigen Behandlungsziele nicht ausreichend geprüft und
gewürdigt hat, sondern sich nur auf die unzureichende, spekulativ anmutende, ablehnende Stellungnahme des MDK gestützt
hat.
Der Anspruch
auf Rehabilitation setzt Behandlungsbedürftigkeit, Rehabilitationsfähigkeit und eine positive Rehabilitationsprognose voraus.
Alle drei Voraussetzungen haben vorgelegen, wie sich nicht nur aus den Stellungnahmen der behandelnden Ärzte ergibt, sondern auch aus
dem Entlassungsbericht der Reha-Einrichtung ergibt. Die Versicherte hat sich an allen Therapieangeboten beteiligen können, sie ist im
Kontakt mit anderen Familien kommunikativer und vertrauter geworden. Bereits nach kurzer Zeit ist sie erfolgreich in das Therapieprogramm
integriert worden. Sie hat in den Bereichen Motorik und Ausdauer Fortschritte gemacht und konnte zuletzt wieder über 3000 Meter mit
Rollator gehen. Die nonverbalen Therapieeinheiten (Bewegungstherapie, z.B. Ballspiele, Bewegung nach Musik), musikorientierte Gruppen (z.B.
Singen) sowie alltagsorientierte Therapie (tiergestützte Therapie, Spiele) haben einen antriebs- und stimmungssteigernden Effekt
erzielt.
Sogar die kommunikativen Fähigkeiten sind gestärkt worden, was vor allem im Rahmen der Erinnerungstherapie deutlich
geworden ist. Wegen der umfangreichen Behandlungen war eine stationäre Behandlung erforderlich, ambulante Maßnahmen hätten
nicht ausgereicht. Auch die Begleitung des Ehemannes ist notwendig gewesen. Die Krankenkasse muss der Versicherten daher –
abzüglich des Selbstbehalts – die Restkosten in Höhe von rund 5.600 € erstatten.
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