Barmer GEK Arztreport 2016
Bild: picture alliance Patienten mit chronischen Schmerzen bekommen im Durchschnitt 4,5 verschiedene Medikamente täglich verordnet. Das sind 70 Prozent mehr als Patienten ohne chronische Schmerzen. |
In Deutschland leiden etwa 3,25 Millionen Menschen an chronischem Schmerz. Doch trotz wichtiger Fortschritte muss ihre Versorgung noch deutlich verbessert werden. Zu diesem Ergebnis kommt der Barmer GEK Arztreport 2016, der erstmals valide Zahlen auf der Basis von Krankenkassendaten zu dem Thema liefert. "Chronischer Schmerz ist eine eigenständige Erkrankung, die sehr spezifisch behandelt werden muss. Angesichts von Millionen Betroffenen muss die Bekämpfung des chronischen Schmerzes zu einem nationalen Gesundheitsziel werden", forderte Dr. Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der Barmer GEK, bei der Vorstellung der Studie heute in Berlin. Dessen Anliegen müsse eine durchgängige Versorgungskette sein, um durch interdisziplinäre Zusammenarbeit möglichst oft die Chronifizierung von Schmerzen zu verhindern. Dabei solle der Hausarzt eine Lotsenfunktion übernehmen.
Chronischer Schmerz in Brandenburg am häufigsten
Der Report zeigt, dass chronische Schmerzen in Deutschland regional sehr unterschiedlich dokumentiert werden. Am häufigsten sind mit 5,79 Prozent die Menschen im Bundesland Brandenburg betroffen. Die geringste Rate wurde in Bremen mit 2,94 Prozent dokumentiert. Im Bundesdurchschnitt liegt die Diagnoserate chronischer Schmerzen bei 4,02 Prozent. Für ihre Auswertung hatten die Reportautoren vom Aqua-Institut Göttingen die Diagnosen berücksichtigt, mit denen chronische Schmerzen ohne direkten Bezug auf ein Organ dokumentiert werden. Dabei zeigt sich für die zehn Jahre von 2005 bis 2014, dass chronischer Schmerz stetig häufiger diagnostiziert wurde. So waren 2005 erst 1,59 Prozent der Bevölkerung betroffen. Chronische Schmerzen werden in allen Altersgruppen deutlich häufiger bei Frauen dokumentiert, wobei die Zahl der Betroffenen mit dem Alter ansteigt. In der Gruppe der über 80-Jährigen waren im Jahr 2014 etwa 13,2 Prozent betroffen, 143.000 Männer und 444.000 Frauen. Das entsprach Diagnoseraten von 9,3 Prozent bei den Männern und 15,2 Prozent bei den Frauen. Bei den über 90-Jährigen sind etwa zehn Prozent der Männer und knapp 16 Prozent der Frauen betroffen, rund 15.000 Männer und knapp 83.000 Frauen.
Multimodale Schmerztherapie nur bei einem von fünf Patienten
In den letzten Jahren habe sich, so Straub, in der Versorgung chronischer Schmerzpatienten vieles getan, allerdings zeige sich ein differenziertes Bild der Schmerzmedizin. So habe sich die Zahl der Patienten, die im Krankenhaus mit einer multimodalen Schmerztherapie behandelt wurden, in den Jahren 2006 bis 2014 mehr als verdoppelt. Damit seien im Jahr 2014 bei rund 61.000 Patienten chronische Schmerzen multimodal therapiert worden. Das entspräche jedoch nur einem Fünftel aller Patienten, die potenziell für eine solche Therapie geeignet wären. Straub verwies darauf, dass die Versorgung mit multimodaler Schmerztherapie insbesondere unter Qualitätsgesichtspunkten nicht ausreichend sichergestellt sei. "Wir unterstützen daher intensiv die Bemühungen seitens der Fachgesellschaften, verbindliche Qualitätskriterien für die multimodale Schmerztherapie im Krankenhaus zu entwickeln."
Fallzahl ambulanter Behandlungen auf neuem Höchststand
Der Arztreport analysiert auf der Basis der Daten aus der ambulanten medizinischen Versorgung von 8,6 Millionen Versicherten der Barmer GEK im Jahr 2014 aktuelle Trends in diesem Versorgungsbereich. Prof. Dr. Joachim Szecsenyi, Geschäftsführer des Aqua-Instituts für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen, Göttingen, verwies darauf, dass im Jahr 2014 jeder Einwohner in Deutschland durchschnittlich pro Quartal rund zwei Ärzte aufgesucht hatte. Mit 8,5 Behandlungsfällen pro Kopf sei die Fallzahl 2014 auf einen neuen Höchststand seit dem Jahr 2005 gestiegen.
Für die ambulante medizinische Betreuung ihrer Versicherten zahlten die Krankenkassen im Jahr 2014 durchschnittlich 522,96 Euro. Das entspricht einem Anstieg um 3,5 Prozent gegenüber dem Jahr 2013, in dem noch 505,24 Euro für einen Versicherten aufgewendet worden waren. Wie in den Vorjahren betrugen im Jahr 2014 die Aufwendungen für Männer mit 450 Euro deutlich weniger als für Frauen mit 593 Euro. "Erneut zeigen sich regionale Unterschiede. In Berlin und Hamburg gab es im Jahr 2014 versichertenbezogene ambulante Behandlungskosten, die mehr als zehn Prozent über dem Bundesdurchschnitt lagen", so Szecsenyi.
Daten aus dem Barmer GEK Arztreport 2016
- In der ambulanten medizinischen Versorgung chronischer Schmerzpatienten hat die Zahl der betroffenen Patienten in den Jahren 2008 bis 2014 kontinuierlich zugenommen, von 0,59 Prozent auf 0,81 Prozent. Demnach wurden in Deutschland im Jahr 2014 rund 655.000 Personen wegen chronischer Schmerzen ambulant behandelt. Dabei steigt die Betroffenheit mit dem Alter an, bis auf einen kurzen Knick nach dem Erreichen des Rentenalters. Am stärksten genutzt wird die ambulante Versorgung von Männern im Alter zwischen 80 und 84 Jahren und Frauen zwischen 75 und 79 Jahren. Die an der Versorgung chronischer Schmerzpatienten beteiligten 1142 Ärzte verteilen sich regional unterschiedlich. In Niedersachsen ergaben sich 0,54 Ärzte je 100.000 Einwohner, in Bremen rund 2,6 (siehe ab Seite 218).
- Innerhalb des Jahres 2014 hatten nach geschlechts- und altersstandardisierten Auswertungen von Barmer GEK Daten 92,9 Prozent der Bevölkerung Kontakt zur ambulanten ärztlichen Versorgung. Im Vergleich zum Vorjahr 2013, in dem die Behandlungsrate in Folge der ausgeprägten Grippe- und Erkältungswelle noch etwas höher lag, war damit ein leichter Rückgang zu verzeichnen (siehe ab Seite 48).
- Die sogenannten U-Untersuchungen U1 bis U9 für Kinder erfreuen sich nach wie vor einer regen Nutzung. So wurden die U3 bis U7 bundesweit bei etwa 93 bis 97 Prozent der dazu berechtigten Kinder im Alter zwischen der vierten und fünften Lebenswoche bzw. dem 21. bis 24. Lebensmonat genutzt. Auch die relativ neue U7a, die erst im Jahr 2008 eingeführt wurde, wurde mit 89,7 Prozent deutlich besser genutzt als in den Anfangsjahren (ab Seite 129).
- Krebsfrüherkennungsuntersuchungen werden nach wie vor von Frauen deutlich häufiger beansprucht. 58 Prozent der Frauen zwischen 20 und 45 Jahren haben sie genutzt. Mit zunehmendem Alter sinkt jedoch bei ihnen die Bereitschaft, daran teilzunehmen. Ab einem Alter von 75 Jahren liegt sie unter 40 Prozent. Nach Hochrechnung der Barmer GEK Daten hatten 41 Prozent aller Frauen in Deutschland (in absoluten Zahlen: 16,93 Millionen) im Jahr 2014 eine Krebsfrüherkennungsuntersuchung. Von den Männern nahmen 11,7 Prozent beziehungsweise 4,65 Millionen an einer solchen Untersuchung teil (siehe ab Seite 121).