Demenz tut nicht weh. Doch betroffene Menschen verlieren die Fähigkeit, ihren Schmerz zu kommunizieren – und erhalten darum zumeist keine adäquate Therapie.
Bei anderen Erkrankungen,
etwa Parkinson, schenken Experten dem Symptom Schmerz erst seit kurzem
überhaupt Aufmerksamkeit. Auf dem Deutschen Schmerz- und Palliativtag in
Frankfurt/Main präsentieren Experten Strategien, wie man Schmerz im Alter
erfassen, messen und behandeln kann.
„Demenzpatienten erhalten
keine adäquate Schmerzbehandlung“ kritisiert der Geriater Dr. Albert Lukas von
der Agaplesion Bethesda Klinik in Ulm, einem Zentrum für Altersmedizin.
Untersuchungen zeigen, dass bei gleicher Schmerzursache Demenzkranke nur ein
Drittel der Morphindosis erhalten, die nichtdemente Patienten in solchen
Fällen erhalten. Selbst mit einfachen Analgetika sind Demenzpatienten
unterversorgt: Sie erhalten nur die Hälfte der bei anderen Patienten üblichen
Dosis.
Betroffen von
dieser Unterversorgung sind 20 bis 50 Prozent der Älteren. Sie haben Demenz und
Schmerzen. Werden die Schmerzen nicht ausreichend behandelt, reduziert dies die
Lebensqualität und fördert Depression und Angst. Der Grund für die
Therapiedefizite: „Eine Demenz erschwert die Schmerzerkennung“, stellt Lukas
fest.
Es gibt zwar Hinweise,
dass die Schmerzwahrnehmung von Demenzpatienten verändert sein könnte. Ihre
Schmerztoleranz (maximal erträglicher Schmerz) scheint im Vergleich zu kognitiv
gesunden Menschen erhöht zu sein. Die Schmerzschwelle, ab der ein Reiz als
Schmerz wahrgenommen wird, ist aber vergleichbar mit kognitiv intakten
Menschen. Experimentelle Schmerzreize lösen bei Demenzpatienten längere und
stärkere Aktivitäten in den schmerzverarbeitenden Strukturen des
Zentralnervensystems aus.
SCHMERZERKENNUNG BEI DEMENZPATIENTEN SCHWIERIG
Darum vermuten Experten, dass eher die Veränderung der Schmerzkommunikation Ursache der inadäquaten Therapie ist. Denn anders als bei kognitiv Gesunden, funktioniert das konventionelle Instrumentarium der Schmerzmessung – etwa mit numerischen oder verbalen Analogskalen – bei Demenzpatienten nicht. „Demente Patienten haben Probleme, Schmerzen verbal auszudrücken“, weiß Lukas. Sie sagen nicht, wenn sie Schmerzen haben und verneinen Schmerzen selbst dann, wenn sie danach gefragt werden. Darum liefert nur die Beobachtung der Betroffenen durch Angehörige oder Pflegepersonal Hinweise auf Schmerzen. Erfasst werden beispielsweise Lautäußerungen, Körpersprache oder Gesichtsausdruck. Doch die dazu verfügbaren Instrumente haben noch Schwächen.
DIAGNOSTISCHE INSTRUMENTE OPTIMIEREN
Darum
versuchen Lukas und seine Kollegen, verschiedene Beobachtungsinstrumente für
die Abschätzung von Schmerzen bei Demenzpatienten zu optimieren. Sie
überprüfen beispielsweise in klinischen Studien, ob bestimmte Testverfahren
nicht nur helfen, Schmerz zu erkennen, sondern auch dessen Intensität messen
können. Wie Lukas auf dem deutschen Schmerz- und Palliativtag in Frankfurt
berichtet, zeigen die Untersuchungen, dass beispielsweise die BESD-Skala („Beurteilung von Schmerz bei Demenz“) die
Schmerzerkennung sowie die Bewertung der Intensität verbessern kann. Allerdings
betont Lukas, dass Schmerz nicht immer ein erfassbares Verhalten auslöst und
auffälliges Verhalten auch andere Ursachen haben kann. „Da Schmerz jedoch eine
der häufigsten Ursachen für scheinbar unbegründetes Verhalten ist, sollte man
im Zweifelsfall eine Therapie einleiten“, so Lukas.
Diese Auffassung
teilt auch PD Dr. Matthias Schuler von der Klinik für Akutgeriatrie und Frührehabilitation am Diakoniekrankenhaus
Mannheim. „Demenz ist kein Analgetikum“, stellt Schuler fest. Im Gegenteil: „Es
gibt Hinweise, dass Demenzkranke möglicherweise sogar größere Dosen an
Schmerzmitteln benötigen als andere Patienten, da bei ihnen der Placebo-Effekt
nicht greifen kann.“
Demenzpatienten mit einer schmerzhaften Erkrankung, die aber dennoch
scheinbar zufrieden und gut drauf sind, bezeichnet Schuler nach seinen
Erfahrungen als „Rarität“. Typisch sei vielmehr, dass die Patienten ihre
Schmerzen nicht verbalisieren oder lokalisieren können.
THERAPIEN INDIVIDUELL KONZIPIEREN
Therapeutisch setzen die Experten bei alten
Patienten und Demenzkranken zwar dasselbe Repertoire an Strategien ein wie bei
jüngeren, doch die Therapie müsse sehr individuell zusammengestellt werden,
betont der Mannheimer Geriater. Und ähnlich wie jüngere Patienten profitieren
auch ältere vor allem von multimodalen Therapien, bei denen verschiedene
Verfahren miteinander kombiniert werden. „Die Patienten brauchen stets
medikamentöse und nichtmedikamentöse Verfahren gleichermaßen“, betont Schuler.
Die Behandlung ziele vor allem darauf ab, Kompetenzen und Funktion möglichst
lange zu erhalten.
ZUR THERAPIE MOTIVIEREN
Die Motivation der Patienten spielt bei Älteren
eine ganz besondere Rolle. Das macht die Therapie zeitaufwändiger. Es dauert
auch länger, bis die beste Dosis eines Medikamentes gefunden ist. „Wenn es uns
gelingt, einen Patienten für ein Krafttraining zu motivieren – und dies ist
auch bei leichter bis mittelschwerer Demenz möglich – wird der Gewinn für den
Betroffenen sehr schnell greifbar, da sich die Muskulatur auch noch im hohen
Alter trainieren lässt“, weiß Schuler. Viele Patienten profitieren auch von
physikalischen Therapien, etwa Wärme- oder Kältebehandlung. Auch die
transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) kommt zum Einsatz und „Salben
sind bei älteren Patienten sehr beliebt“, schmunzelt Schuler. Bei der Auswahl
der Medikamente müssen die Geriater bei älteren Menschen auf eingeschränkte
Organfunktionen und andere Risikofaktoren achten. Nicht-steroidale
Antirheumatika setzen die Experten daher aufgrund ihrer Nebenwirkungen eher
selten ein. Häufiger kommen Paracetamol oder Metamizol zum Einsatz sowie
Opioide.
SCHMERZ BEI PARKINSON KEINE SELTENHEIT
Bei
einigen Alterserkrankungen können begleitende Schmerzen durch eine optimierte
Therapie der Grunderkrankung gelindert werden. Dies ist beispielsweise bei der Parkinson-Erkrankung
der Fall. Der Untergang von Nervenzellen im Gehirn, die den Botenstoff Dopamin
produzieren, verursacht charakteristische motorische Störungen: Zittern,
Muskelstarre, Bewegungsstörungen. Doch der Dopamin-Mangel verursacht auch
Schmerzen. „Schmerzen gehören bei Parkinson zu den häufigsten nicht-motorischen
Symptomen“, sagt Prof. Dr. Alexander Storch von der Abteilung für
Neurodegenerative Erkrankungen an der Neurologischen Klinik der TU Dresden.
„Bis zu zwei Drittel der Patienten sind betroffen.“
Obwohl der
Schmerz bei Parkinson eine herausragende Bedeutung hat, wissen die Ärzte
bislang noch wenig, wodurch er ausgelöst und wie er am besten behandelt wird.
Untersuchungen belegen, dass Dopamin und die Basalganglien, jene Bereiche im
Gehirn, deren Funktion bei Parkinson gestört ist, auch bei der
Schmerzverarbeitung eine Rolle spielen. „Darum kann eine Optimierung der
Behandlung durchaus auch Schmerzen günstig beeinflussen“, sagt Storch. Doch
Schmerzen sind nicht nur die direkte Folge einer Parkinsonkrankheit, sondern
oft auch die sekundäre Folge der motorischen Störungen. Schmerzen in den
Gelenken und im Rücken, schmerzhafte Muskelverspannungen sind typische
Begleiterscheinungen bei Parkinson. Dann brauchen die Patienten auch
Schmerzmittel. „Allerdings müssen wir bei der Auswahl auf Wechselwirkungen mit
den Parkinsonmedikamenten achten und Wirkungen auf die Erkrankung selbst berücksichtigen“,
sagt Storch. Dies beginnt bei den Nicht-Steroidalen Antirheumatika (NSAR),
welche die wassereinlagernde Wirkung bestimmter Parkinsonmedikamente verstärken
können, bis hin zu Opiaten, die nicht nur mit manchen Parkinsonmitteln
wechselwirken, sondern auch die Obstipation, unter der Parkinson-Patienten
ohnehin häufig leiden, verstärken können.
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